„2. Treffen der Generationen“ der DHG-Region Berlin-Brandenburg 2014 in Rheinsberg
Am dritten Maiwochenende war es endlich so weit. Unser „Treffen der Generationen“ sollte stattfinden. Bereits auf der Regionaltagung 2012 fiel mehrheitlich die Wahl auf das Wochenende vom 16. bis 18. Mai 2014 – ein nicht so ganz glücklicher Termin, wie sich später noch herausstellen sollte. Fand doch genau zur selben Zeit der Kongress der World Federation of Hemophilia (WFH) im australischen Melbourne statt. Somit fielen potenzielle Referenten für die inhaltliche Gestaltung schlichtweg aus. Und doch: nicht alle waren verhindert, so dass es alles in allem ein schönes, interessantes, erlebnisreiches Treffen in einer überaus angenehmen Atmosphäre wurde. Für alle Teilnehmenden war etwas dabei und alle zeigten sich am Ende rundum zufrieden.
Wie schon im September 2011 war das „Haus Rheinsberg“ Treffpunkt für die Teilnehmer, insgesamt 57 Erwachsene und 16 Kinder. Der wunderschöne Blick aus den Zimmern auf den Grienericksee ließ sehr schnell die umleitungsbedingte längerer Anfahrt vergessen. Während des gemeinsamen Abendessens am Freitag begrüßten sich nicht nur alte Bekannte, sondern auch die „Neulinge“ wurden herzlich willkommen geheißen.
Zum Begrüßungsabend fanden sich nach und nach alle Anwesenden in der Hotelbar ein. Vom einjährigen Kind bis zum achtzigjährigen Senior waren alle Generationen vertreten. Obwohl es eng war, tat es der guten, gelösten Atmosphäre keinen Abbruch. Die Erwachsenen und Jugendlichen holten sich Stühle hinzu und rückten zusammen, die Kinder fanden auf dem Fußboden Platz, wo sie spielten und dem Geschehen folgen konnten.
Alle Teilnehmenden waren in der Einladung darum gebeten worden, einen persönlichen Gegenstand, der mit der Hämophilie in Verbindung steht, mitzubringen und etwas darüber zu erzählen. So hörten wir Schilderungen von älteren Patienten über die Probleme bei der Behandlung ihrer Erkrankung in der Vergangenheit ebenso wie Berichte junger Eltern über die mitunter schwierige Hemmkörperbehandlung bei ihrem hämophilen Kind. Die Jugendlichen erzählten, wie sie in der Schule ihre Krankheit meistern, einer von ihnen stellte sein Buch dazu vor. Jedem wurde aufmerksam zugehört und mit Beifall gedankt.
Weit nach 22.00 Uhr hatten alle etwas über sich erzählt und erst dann begann sich unsere Gruppe langsam aufzulösen. Die Kinder mussten nun wirklich ins Bett, aber auch die Erwachsenen zog es zunehmend dorthin. Einige hielten jedoch noch tapfer bis weit nach Mitternacht durch.
Nachdem am Sonnabendvormittag die Kinder zum Spielen in die Obhut von Frau Gummlich begeben hatten, die den meisten schon gut bekannt war, trafen sich die Erwachsenen und Jugendlichen zum Vortrag.
Gerade vom WFH-Kogress aus Melbourne zurückgekehrt und noch gegen den Jetleg ankämpfend stellte Frau Dr. Carmen Escuriola-Ettinghausen aus Frankfurt am Main die Ergebnisse der HERO-Studie zur Verbesserung der Behandlung von Hämo- philen unter Einbeziehung psychosozialer Faktoren vor.
HERO ist eine internationale Initiative, die von der Firma Novo Nordisk unterstützt wird, und zum Ziel hat, die psychosoziale Situation von Hämophiliepatienten und ihren Angehörigen weltweit zu erforschen und zu verstehen und langfristig die Behandlung und Versorgung zu verbessern.
Die Befragung wurde in insgesamt 10 Ländern durchgeführt, u. a. in Deutschland, Frankreich, Italien, USA, China und Algerien, zumeist über Internet, nationale Hämophilieorganisationen und Behandlungszentren, teilweise auch über ambulante Pflegedienste. Insgesamt 1.236 Personen nahmen daran teil, 60 davon in Deutschland.
Um die Erfahrungen Hämophiler zu erfassen, wurden erwachsene Patienten und die Eltern hämophiler Kinder zu folgenden Schwerpunkten befragt:
- Zugang zur medikamentösen Therapie,
- Begleiterkrankungen wie Hepatitis C, chronische Schmerzen, HIV / AIDS und Arthritis mit dem jeweiligen Gelenkstatus
- Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Faktoren-Substitution
- Zugang zur medikamentösen Therapie
- Qualität der Behandlung
- Bildungs- und Ausbildungsniveau sowie Teilnahme am Arbeitsleben
- Sportliche Aktivitäten
- Familie, Partnerschaft und soziales Umfeld
- Lebensqualität
- Wissen und Informationsverhalten
Als bemerkenswert stellte sich heraus, dass große Flächenstaaten wie Russland, Canada oder Australien aufgrund erheblicher Entfernungen große Probleme in der Versorgung und qualifizierten Behandlung aufwiesen. Deutschland erreichte im Blick auf die Versorgungs- situation mit Faktorenkonzentraten das beste Ergebnis. Zentraler Knackpunkt bei der Behandlung sind derzeit die Kosten, so dass in wirtschaftlich schwächeren Ländern wie z. B. Spanien oder Algerien erhebliche Abstriche in der Faktor-Versorgung gemacht werden müssen. Auch bei der Frage, wo die Behandlung stattfindet, schnitt Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern gut ab, wobei ca. 15 % der Befragten Probleme äußerten, ins nächste Hämophiliezentrum zu kommen, dagegen in Großbritannien und Spanien mehr als 30 % der Hämophilen. Hämophiliezentren sind nicht nur in Deutschland zumeist nur in Ballungsgebieten vorhanden, die Qualität der Behandlung insgesamt ist vergleichbar. Die Befragung ergab auch, dass der zunehmende Druck der Krankenkassen zu Einschränkungen bezüglich der Kostenübernahme bei Hilfsmitteln oder Fahrkosten führt, was jedoch von Kasse zu Kasse unterschiedlich gehandhabt wird.
Erhebliche Unterschiede traten hinsichtlich der Rolle der Hämophilieschwester zutage. In Deutschland sind deren Tätigkeiten im Hinblick auf die Hämophiliebehandlung beschränkt. Im Gegensatz dazu übernimmt die Schwester z.B. in Großbritannien ganz selbstverständlich auch ärztliche Aufgaben.
Das Auftreten chronischer Schmerzen wurde bei der Mehrzahl der Befragten in den europäischen Staaten in ähnlicher Weise bewertet. Mehr als 40 % der deutschen Hämophilen, davon 92 % der über Fünfzigjährigen, gaben an, unter starken, intensiven Schmerzen zu leiden, wogegen die jüngeren Patienten angaben, keine oder nur selten Schmerzen zu haben.
Obwohl für Deutschland die Behandlungssituation als sehr gut eingeschätzt wird, beurteilen die deutschen Patienten ihre Lebensqualität deutlich pessimistischer als die anderen Europäer. So schätzen z. B. die Spanier trotz schlechterer Behandlungssituation ihre Lebensqualität besser ein als die Deutschen. Als eine der möglichen Erklärungen dafür könnten kulturelle Unterschiede in der Lebenseinstellung angesehen werden.
Auf die Frage hin, „Was können wir machen?“ hat schlussendlich jedes Land seine eigenen Schwerpunkte definiert. Für Deutschland steht vorrangig die Aufgabe der Verbesserung der Schmerztherapie.
Klaus Poek bedankte sich abschließend bei Frau Dr. Escuriola, die keine Mühen gescheut hatte, um an unserer Veranstaltung teilzunehmen, mit einem kleinen Buchpräsent für ihr Kommen.
Nach einer kurzen Kaffeepause starteten wir mit den Workshops, wobei unsere Jugendlichen eine gesonderte „Einladung“ von Klaus Poek benötigten, den für sie bestimmten Workshop zu besuchen, da das Schwimmbad nun ausschließlich den Erwachsenen für die Watercise- Übungen, zu denen Janis Kalnins angereist war, vorbehalten war.
Die jungen Eltern hatten sich zu ihrem Workshop versammelt. Dieser wurde von Frau Dr. Escuriola und Frau Diesselhorst, Psychologin an der Charité – Campus Virchow-Klinikum, geleitet und hatte zum einen Schmerz im Kindesalter und zum anderen Entdeckungen im täglichen Leben mit Hämophilie zum Thema.
Probleme, die alle Eltern gleichermaßen betrafen, waren der Ablösungsprozess ihres Kindes hin zu Freunden bzw. Partnerinnen sowie der Umgang mit Schmerzen bei der Faktoren-Substitution. Alle Fragen und Sorgen konnten in sehr offener und verständnisvoller Atmosphäre angesprochen werden, was von allen Teilnehmenden als überaus wohltuend und hilfreich empfunden wurde. Die erfahrenen Eltern gaben hier den jüngeren wertvolle Tipps aus ihrer eigenen Erfahrungswelt mit. Beide Fachexpertinnen waren im anschließenden Auswertungsgespräch überaus zufrieden mit dem Verlauf des Workshops, die Eltern wünschten sich künftig noch mehr solcher Möglichkeiten des Austauschs. Eine Möglichkeit dafür besteht in den Treffen der Eltern-Kind-Gruppe unserer Region Berlin-Brandenburg.
Den Workshop für unsere Jugendlichen zum Thema Bewerbung für einen Ausbildungsplatz unter dem Aspekt der Schwerbehinderung wurde von Brigitte Poek und Olaf Krüger geleitet. In einem Rollenspiel zwischen Brigitte Poek als „Personalleiterin“ und Benny Schwarz als „Bewerber“ galt es Fehler des Bewerbers herauszufinden und dazu Überlegungen anzustellen, wie es besser gemacht werden sollte. Olaf Krüger gab wertvolle Tipps, welche Möglichkeiten ein schwerbehinderter Bewerber nutzen sollte, indem er empfahl, vor dem eigentlichen Bewerbungsgespräch Kontakt mit der betrieblichen Schwerbehindertenvertretung aufzunehmen, und informierte über die Rolle der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen des Bewerbungsverfahrens. Benny Schwarz und Steffen Hartwig, ergänzten aus ihren eigenen Erfahrungen sowie über Besonderheiten der Bewerbung um einen Studienplatz.
Unsere älteren Teilnehmer testeten und trainierten ihre Beweglichkeit in der Schwimmhalle bei ausgewählten Watercise-Übungen, die unter fachkundiger Anleitung von Janis Kalnins ausgeführt wurden.
So etwas sollte beim nächsten Treffen unbedingt wiederholt werden, so die vielfache Meinung der Teilnehmenden.
Während die Erwachsenen in den Workshops arbeiteten, begaben sich unsere Kinder zunächst in die Seehalle, wo ein Rollstuhl- parcours vorbereitet war. Mitarbeiterinnen des Hotels hatten diesen vorbereitet und leiteten die Kids an, mit Rollstühlen mehrere Hindernisse zu umfahren. Alle waren mit Eifer dabei. Im Anschluss ging es mit Arne Schumann auf Schatzsuche. An mehreren Stellen in der Nähe des Hotels und im Schlosspark waren Hinweise versteckt, die zielsicher zum Schatz führten. Und tatsächlich: der Schatz, an einem Baum befestigt, wurde gefunden und musste nur noch mit Stöcken heruntergeholt und verteilt werden. War das ein Spaß!
Die Pause bis zum Abendessen wurde nun vielfach genutzt, um in der Schwimmhalle einige Runden zu drehen, im Wasser zu planschen und zu toben oder sich anderweitig zu entspannen.
Der anschließende Grillabend gab ausreichend Gelegenheit zu Gesprächen in kleineren Gruppen, die sich jedoch teilweise an den Fernseher in der Hotellobby verlagerten, wo das DFB-Pokalendspiel verfolgt wurde. Die Zuschauer mussten dann aber ziemlich lange auf die Entscheidung warten, - doch wieder einmal siegten die Bayern.
Für den Sonntagvormittag war eigentlich ein kurzer Bericht von Frau Dr. Escuriola zum WFH-Kongress vorgesehen. Leider musste sie schon am Morgen abreisen, so dass Herr Dr. Ulitzsch von der Firma CSL Behring kurz entschlossen einsprang. Nach einigen Impressionen vom ersten „Treffen der Generationen“ 2011 gab er eine kurze Zusammenfassung der Schwerpunkte des WFH-Kongresses in Melbourne, wo es u. a. um die Erforschung biochemischer Vorgänge, der psychosozialen Situation von Hämophilie-Patienten (HERO-Studie) und die Präparateversorgung ging.
Des Weiteren beantwortete er Fragen der Anwesenden zur Gentherapie, welche noch in weitere Zukunft gerückt ist, sowie zur Verlängerung der Halb- wertszeit bei den Gerinnungspräparaten. Dr. Ulitzsch nutzte die Gelegenheit, den „Hämophiliexperten“, die Internetseite der Firma CSL Behring, mit Informationen für Eltern, Kinder, Jugendliche, Konduktorinnen, Lehrer und Erzieher sowie Übungsmöglichkeiten mit dem Tera-Band und Aquagymnastik (Watercise) vorzustellen.
Klaus Poek bat dann um kurze Vorstellung der Ergebnisse der Workshops vom Sonnabend. Für die Eltern-Kind-Gruppe sprach Herr Seehaus.
In diesem Zusammenhang sprach Klaus Poek die neu entstandene Situation an, dass Frau Brandt die Koordination der Eltern-Kind-Gruppe nicht weiterführen wird und somit erneut eine Lücke zu füllen ist. Auch wenn sich spontan niemand entscheiden konnte, diese Aufgabe zu übernehmen, erklärten sich einige Eltern zur aktiven Unterstützung bereit. Somit kann und soll das für Oktober geplante Treffen der Eltern-Kind-Gruppe stattfinden.
Für die Gruppe der Jugendlichen fasste Brigitte Poek den Workshop zusammen, Klaus Poek berichtete über Watercise mit seinem ausgewogenen Bewegungsprogramm.
Bevor es zum Mittagessen ging, durften alle Anwesenden den bereit gelegten Evaluationsbogen ausfüllen und ihre Meinung zu unserer Veranstaltung äußern. Insgesamt kamen 29 Bögen zurück mit nahezu einhelligem Ergebnis:
Es war ein schönes Wochenende mit vielen interessanten Gesprächen. Örtlichkeit, Zimmer, Vorträge und Workshops fanden breite Zustimmung, die Organisation des Wochenendes wurde vielfach gelobt. Und es gab auch eine Reihe von Vorschlägen für das nächste Treffen. Alle wünschten sich eine Folgeveranstaltung in nicht allzu ferner Zukunft. „Der Informationsaustausch zwischen den Generationen ist und bleibt sehr wichtig.“ – befand ein Teilnehmer.
Abschließend sei der Firma „Novo Nordisk“ herzlich für die Unterstützung der Veranstaltung gedankt. Denn letztendlich wäre die Durchführung einer solchen Veranstaltung ohne entsprechende Förderung nur bedingt möglich.
Brigitte Poek