Es war das Wochenende nach dem großen Regen, der die Region Berlin-Brandenburg flächendeckend unter Wasser gesetzt hatte. Wer hatte zuvor ernsthaft für möglich gehalten, dass die Anreise nach Rheinsberg durch überflutete und somit gesperrte Autobahntunnel für manchen zum Abenteuer werden sollte? Und der Regen sollte dann auch noch bis Sonntagnachmittag anhalten.
Nun ja, man konnte eigentlich meinen nichts zu verpassen, aber die, die sich nicht angemeldet hatten, verpassten in der Tat etwas, nämlich ein erlebnisreiches Wochenende, an dem sich alles um die Gesundheit rankte und wir, ob Patienten oder Angehörige, wertvolle Experten-Tipps erhielten.
Zum Begrüßungsabend waren trotz der witterungsbedingten Hindernisse die meisten Teilnehmenden angereist. Jeder war gebeten worden, einen persönlichen Gegenstand mitzubringen. Dieser Bitte waren auch die meisten nachgekommen und sie erzählten damit zusammenhängende Begebenheiten aus ihrem Leben, die mit der Hämophilie zunächst gar nicht viel zu tun hatten. Es waren Geschichten, die berührten, die Staunen und sogar Bewunderung hervorriefen und so manchen zum Lachen brachten. – Ein schöner Abend, wie sich etliche in der Abschlussauswertung äußerten.
Nach einem reichhaltigen Frühstück starteten wir am Sonnabend mit CA Dr. med. Robert Klamroth aus dem Vivantes Klinikum Berlin - Friedrichshain in das erste Thema: Prophylaxe – von der Wiege bis zur Bahre?!
Er skizzierte zunächst die Behandlungsziele bei der Hämophilie: die Vermeidung von Blutungen und Blutungsfolgen, insbesondere an den Gelenken, der Erhalt der normalen Gelenkfunktion, weiterhin die Vermeidung unerwünschter Wirkungen wie Infektionen sowie die Integration in ein normales Leben.
Zur Erreichung dieser Ziele ist die Prophylaxe, Anfang der 1970-er Jahre in Schweden begründet, inzwischen zum Königsweg geworden, und es gibt keinen Grund, warum Prophylaxe - in welcher Altersgruppe auch immer - nachteilig sein sollte.
Während der Faktor IX aufgrund seiner geringeren Molekülgröße mit einer höheren Einstiegsdosis substituiert werden muss, ist die Einstiegsdosis für den Faktor VIII aufgrund der höheren Molekülgröße geringer. Dem gegenüber liegt die Halbwertzeit bei Faktor IX bei 72 Stunden, bei Faktor VIII dagegen bei nur 48 Stunden, was sich auf die Substitutionsintervalle auswirkt. Individuelle Unterschiede sind jedoch nicht außer Acht zu lassen, entscheidend für die Dosierung ist jeweils der Talspiegel. Um vor häufigeren Einblutungen geschützt zu sein, sollte dieser in regelmäßigen Abständen bestimmt werden. Dennoch gibt es auch trotz Prophylaxe keinen 100 %-igen Schutz vor Blutungen. Ideal wäre ein Spiegel von 10 %, was allerdings nicht unerhebliche Kosten verursachen würde. Aber in einem starken Gesundheitssystem, so Dr. Klamroth, sollte es möglich sein, dass bei Hämophiliepatienten Blutungen auf ein Minimum reduziert werden können.
Zusammenfassend betonte er nochmals, dass die Prophylaxe für alle Patienten unabhängig vom Lebensalter gegenwärtig die Therapie der Wahl ist.
Während die Erwachsenen nach dem Vortrag noch die Möglichkeit nutzten, Fragen zu stellen, schaute ich mal zu den Kindern hinein. Die waren unter der liebevollen Betreuung durch Frau Birgit Gummlich, für einige schon eine gute Vertraute, schwer mit Spielen beschäftigt. Eltern wurden auch nicht wirklich vermisst.
Inzwischen war Frau Dr. med. Beate Krammer-Steiner, Chefärztin der Klinik für Hämatologie und Onkologie des Südstadt-Klinikums Rostock, angereist. Mit ihrem Vortrag zur Stationären Krankenhausbehandlung von Hämophiliepatienten im 21. Jahrhundert sprach sie vielen Patienten, und nicht nur ihnen, aus dem Herzen, erlebten sie doch allzu oft, dass verschiedenste Erkrankungen gern auf die Hämophilie reduziert wurden. Ärzte reagieren oft verunsichert, wenn sie mit der Diagnose Hämophilie konfrontiert werden.
Bei der Diagnostik und Behandlung der Hämophilie „kann man alles so machen wie mit anderen Menschen.“ So die Aussage von Frau Dr. Krammer-Steiner. Ein heute geborener Hämophiler hat inzwischen eine Lebenserwartung wie gesunde Kinder. Ältere Patienten sollten „alles richtig machen“, Behandlungen altersbedingter Erkrankungen nehmen immer mehr Raum ein dürfen nicht vernachlässigt werden. Auch Physiotherapie und Kuren sollten im Rahmen der Selbstpflege genutzt werden. Patienten sind durch die moderne Behandlung der Hämophilie (Prophylaxe) lebenslang versorgt, alle anderen Therapien müssen sich daran messen lassen.
Hämophiliepatienten sind „ganz normale Patienten“, - aber man muss als Arzt bei ihnen denken.
Die im Programm geplante Zeit war längst überschritten und im Restaurant wurden wir schon mit dem Mittagessen erwartet. Kurz entschlossen wurden die folgenden Workshops zeitlich nach hinten verschoben, so dass wenigstens eine kleine Pause zum Entspannen blieb.
In der Schwimmhalle warteten nun Janis Kalnins und Olaf Baer mit Watercise-Übungen auf uns. Nach Lockerungsübungen im Schulter-Nacken-Bereich wurden Rumpf, Beine und Sprunggelenke gelockert, dann ging es im Gänsemarsch mal links- und mal rechts herum durch das Wasser. Anstrengung kann auch Spaß machen und den hatten wir allemal.
In die Gruppe der jungen Eltern kamen Frau Dr. med. Susanne Holzhauer und Frau Dipl. Psych. Viola Diesselhorst aus der Charite Berlin – Campus Virchow-Klinikum aus Berlin angereist, um mit den Teilnehmenden zu Fragen und Tipps beim Umgang mit der Diagnose Hämophilie ins Gespräch zu kommen.
Obwohl die Gruppe bedauerlicher Weise sehr klein war, kam es doch zu sehr intensiven Gesprächen in einer ausgesprochen persönlichen und offenen Atmosphäre.
Die deutliche Mehrzahl der Teilnehmenden hatte sich im Vorfeld für den Workshop mit Frau Dipl. oec. troph. Brigitte Dilkrath aus Neukirchen-Vluyn angemeldet und so war der Seminarraum gut gefüllt. Mit ihrem wohlklingenden rheinisch gefärbten Dialekt vermittelte sie wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig sehr bodenständig und humorvoll Wissen zur Ernährung bei Hämophilie.
Anknüpfend an die vorhandenen Ernährungs- gewohnheiten und thematischen Wünsche beschrieb sie die häufigsten Ernährungs- probleme und –fehler im Alltag: Zeitdruck und dadurch häufiger Griff zu Fertigprodukten, hoher Gehalt an verstecktem Zucker in vielen Lebensmitteln und Getränken, Verzicht auf das Frühstück und dadurch häufigere kleine Mahlzeiten in kurzen Intervallen mit insgesamt höherer Kalorienmenge sowie zu geringe tägliche Trinkmengen.
Sie empfahl, nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, nach einem gut sättigenden Frühstück 4 - bis 6 -stündige Pausen zwischen den Mahlzeiten einzulegen. – Was morgens zu wenig gegessen wurde, wird meist abends nachgeholt.
Man sollte unbedingt auf die Bedürfnisse des Körpers achten, zumal der Stoffwechsel individuell sehr unterschiedlich funktioniert.
Bevorzugt werden sollten basische Lebensmittel wie Kartoffeln, Gemüse, Nüsse, Obst im Gegensatz zu den sauren Lebensmitteln Fleisch, Wurst, Kaffee und Alkohol, die nur maßvoll aufgenommen werden sollten.
Im Blick auf eine gesunde Ernährung von Hämophiliepatienten spielt die Leber eine herausragende Rolle. Im Sinne der Lebergesundheit werden Gemüse mit Bitterstoffen, z. B. Brokkoli, Spinat, Grünkohl und Chicoree, sowie mediterrane Kräuter empfohlen, aber auch Äpfel, Aprikosen, Ballaststoffe, Haferflocken und Kaffee. Schlecht für die Leber sind Fruchtzucker, wie er in Obst und den seit einiger Zeit beliebten Smoothies enthalten ist, zu viel Fett und Eiweiß und natürlich Alkohol.
Lesen Sie mehr dazu unter www.gzrr.de.
Leider konnte ich nicht währen der gesamten Zeit in diesem überaus interessanten Workshop bleiben, da ich zur halbstündigen Massage bei Frau Janine Pareis, die für Patienten und Angehörige von Freitagabend bis Sonntagmittag Physiotherapie angeboten hatte, angemeldet war. Dieses Angebot fand regen Zuspruch und es gab so gut wie keine freien Termine. Alle, die dieses Angebot genutzt hatten, unabhängig davon, ob Beschwerden in der Hals- oder Lendenwirbelsäule vorlagen, waren begeistert und viel beweglicher als vor der Behandlung.
Der geplante Grillabend musste leider aufgrund des Wetters – es regnete noch immer – im Restaurant stattfinden. Wie schnell doch die Ernährungshinweise aus dem Workshop vergessen oder erfolgreich verdrängt wurden! So fanden Steaks und Bratwürste reichlich Zuspruch, - aber zumindest mit einem Anflug von schlechtem Gewissen.
Dafür, sozusagen zum Ausgleich, begann der Sonntagmorgen mit Janis und Ole sportlich. Alle, die auf einen Vortrag in gemütlicher Sitzhaltung eingestellt waren, wurden eines Besseren belehrt. Wir wurden anderthalb Stunden lang auf die Beine gestellt, zunächst auf beide, dann abwechselnd auf das rechte und linke. Gleichgewichtsübungen zur Sturzprophylaxe standen auf dem Programm.
Alle machten mit, soweit sie es konnten und es die eigene gesundheitliche Situation zuließ. Und wiederum hatten wir bei aller Anstrengung Spaß. Es war vielfacher Wunsch, solche Übungen auch bei künftigen Treffen einzubauen.
Herr Dr. Martin Ulitzsch von der Firma CSL Behring gab im Anschluss einen Foto-Rückblick auf verschiedene Veranstaltungen der vergangenen Jahre: Watercise, erstes und zweites „Treffen der Generationen“. Erinnerungen, auch an Mitglieder, die nicht mehr dabei sein konnten, wurden geweckt und so mancher fand, dass er sich über die Jahre durchaus gut gehalten hat.
Zum Abschluss ergriff Klaus Poek noch einmal das Wort, um die Teilnehmenden um ihre Bewertung unseres 3. „Treffens der Generationen“ zu bitten und in besonderer Weise den Firmen Novo Nordisk und CSL Behring sowie der Deutschen Hämophilie-gesellschaft für die finanzielle Unterstützung und Bereitstellung von Materialien zu danken.
Es war wiederum ein gelungenes Wochenende geworden. Nur das Wetter – na ja, das lag weder im Ermessen des Veranstalters noch des Hotelmanagements.
Gern würden wir wieder an einem weiteren Treffen teilnehmen – so die einhellige Meinung und sie würden auch für diese Veranstaltung werben.
Wenn nichts dazwischen kommt, sehen wir uns in drei Jahren hier wieder. Und vielleicht kommen auch neue Mitglieder dazu. Eingeladen sind auch dann wieder alle.
Brigitte Poek