DHG-Regionaltagung Berlin-Brandenburg 2012
Das Jahr war noch keine drei Wochen alt, da trafen sich aus Berlin und Brandenburg an die 70 DHG-Mitglieder und ihre Angehörigen am Samstag, dem 21. Januar, zu Ihrer Regionaltagung – wieder am vertrauten Ort, dem Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg.
Wer mit Kindern gekommen war, konnte diese mit einem guten Gefühl den bewährten erfahrenen Händen unserer Kinderbetreuerin Frau Gummlich anvertrauen.
Wie jedes Jahr erwartete ein für alle Altersgruppen interessantes und vielseitiges Programm zu aktuellen Themen die Teilnehmenden.
Nach der Begrüßung durch Klaus Poek zogen sich die Jugendlichen zu ihrem Treffen in einem Nebenraum zurück.
Danach begann die Theologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Ethikrat, Frau Dr. Katrin Bentele, ihren Vortrag zur Präimplantationsdiagnostik (PID) – Hämophilie ein Kriterium?
Sie erläuterte den Anwesenden zunächst die Zielstellung der PID, die ursprünglich bei Risikoschwangerschaften zum Einsatz kommen sollte, um das reproduktive Selbstbestimmungsrecht der Familien zu erweitern, ggf. pränatale Therapien zu ermöglichen oder Präventionsmaßnahmen einzuleiten.
Gegenüber den invasiven Methoden wie Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese in der Frühschwangerschaft kann die PID als nichtinvasive Methode bereits vor einer Schwangerschaft durchgeführt werden, allerdings ist sie an Vorbedingungen geknüpft.
In Frage kommen Paare mit einem hohen genetischen Risiko einer schweren Erbkrankheit, wobei derzeit nicht definiert ist, was unter „schwer“ zu verstehen ist.
Mit der künstlichen Befruchtung der Eizelle – die Voraussetzung für eine PID ist - geht eine für die Frau meist sehr belastende Hormonstimulation voraus. Im Ergebnis liegen bis zu 12 reife Eizellen vor, die zur Teilung gebracht werden. Der Blastozyste wird dann ein Zellkern, dessen Genom überprüft wird, entnommen. Weist das Genom einen Defekt auf, wird der betroffene Embryo verworfen, ein gesunder Embryo wird weiterentwickelt und in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt.
Dadurch kann sich ein gesundes Kind entwickeln, das nicht an der in der Familie aufgetretenen Erbkrankheit leidet, und ein ansonsten möglicher Schwangerschaftsabbruch vermieden werden.
Im Juli 2011 einigten sich die Abgeordneten des Bundestages darauf, die PID mit Einschränkungen zuzulassen. Das PID-Gesetz ist seit dem 08.12.2011 in Kraft. Aufgrund fehlender Durchführungs- und Rechtsverordnungen und einer Vielzahl ungeklärter ethischer Fragestellungen findet die Anwendung jedoch z. Z. kaum statt. Unklar ist u. a., welche Erkrankungen im Rahmen der PID untersucht werden sollen und wie verfahren werden kann, wenn bei der PID andere Krankheiten diagnostiziert werden. In jedem Fall soll die PID eine Einzelfallentscheidung bleiben, in der das betreffende Paar das letzte Wort hat, ob es sich dem psychischen und physischen Druck eines solchen Verfahrens aussetzen will.
Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass es in Deutschland ca. 300 Paare geben wird, für die eine PID überhaupt nur in Frage kommt.
Bislang haben sich 3 Paare wegen der Diagnose Hämophilie an den Deutschen Ethikrat gewandt, wobei sich zwei strikt gegen die Anwendung der PID für diese Erkrankung ausgesprochen haben. Fragen zur Hämophilie beschränken sich somit nicht nur mehr auf die Behandlung, sondern werden künftig auch unter ethischen und moralischen Aspekten betrachtet werden müssen.
Angesichts der in der Summe zu erwartenden geringen Anzahl von Anfragen erschienen etlichen Teilnehmern Ausmaß und Umfang der öffentlichen Diskussion und die damit verbundene Hinzuziehung medizinischen, juristischen und religiösen Sachverstandes bei der Behandlung des Themas PID überdimensioniert.
Als nächste Referentin berichte Frau Dr. Susanne Holzhauer aus der Kinderklinik der Charité Campus Virchow Klinikum zum Thema Endlich Schluss mit Pieksen? Port & Co – Pro und Contra.
Die Faktorengabe bei hämophilen Kindern setzt i. d. R. im 11. Lebensmonat ein.
Dabei bestehen folgende Möglichkeiten für eine Substitutionstherapie:
- Port-System und Zentraler Venenkatheter (ZVK) in ein großes herznahes Gefäß
Bei beiden ist die erhöhte Infektionsgefahr als erhebliches Problem anzusehen. - Arteriovenöse Fistel (Shunt) und Injektion in eine periphere Vene
Beide bieten mehr Vorteile, ersparen dem Kind jedoch nicht das meist schmerzhafte Stechen.
Aus der Erfahrung heraus, so Frau Dr. Holzhauer, bleibt die periphere Injektion die Methode der Wahl. Sie sollte jedoch nur von erfahrenen Kinderärzten vorgenommen werden. Empfohlen wird, das Kind bei der Injektion möglichst auf dem Schoß der Eltern sitzen zu lassen, um das Gefühl des Ausgeliefertseins zu vermeiden. Sehr hilfreich ist auch die vorherige Verabreichung von Schmerzpflastern, die den Kindern die Angst vor dem Schmerz beim Stechen nahezu vollständig nimmt.
Kurz vor der Mittagspause tat den Anwesenden nun etwas „leichtere Kost“ in Form eines mit Fotos unterlegten Berichts von Klaus Poek über das „Treffen der Generationen“ – Impressionen eines Wochenendseminars in Rheinsberg gut, bei dem viele Erinnerungen geweckt wurden.
Insgesamt hatten 74 Personen im Alter von 5 Monaten bis 78 Jahren teilgenommen. Die Auswertung der Fragebögen hatte ergeben, dass die Seminarteilnehmer insbesondere den Austausch untereinander sowie die familiäre Atmosphäre und die ansprechende Hotelausstattung als sehr hilfreich und angenehm empfunden hatten.
Viele Teilnehmer sprachen sich für weitere Wochenendseminare insbesondere in Rheinsberg aus. Alle würden auf jeden Fall wieder teilnehmen, auch diejenigen, die nicht dabei waren, bekundeten Interesse.
Nun war es Zeit zur Mittagspause. Ein ansprechendes und vielfach gelobtes Büfett wartete auf uns und neben dem Essen und Trinken wurde ausführlich die Gelegenheit zu Gesprächen genutzt.
Aus dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen war Frau Birgit Haschberger angereist, um Das Deutsche Hämophilieregister zu erläutern.
Die meisten Hämophilie-Patienten sind vor einiger Zeit von Ihren Behandlungseinrichtungen angeschrieben worden, um ihr Einverständnis zur Eintragung ihrer Patientendaten zu geben, was bei etlichen von ihnen zur Verunsicherung insbesondere in Bezug auf die Datensicherheit geführt hatte.
Frau Haschberger berichtete, das im Ergebnis langwieriger Gespräche zwischen Behandlern, Patientenverbänden (DHG, IGH), Krankenkassen, GTH und PEI mit Unterstützung des BMG die Einrichtung einer Online-Datenbank zur Speicherung und Auswertung pseudonymisierter Daten von Patienten mit einer Blutgerinnungsstörung beschlossen worden ist.
Ziel des Deutschen Hämophilieregisters (DHR) ist es, die wissenschaftliche klinische Forschung zu fördern und die bestmögliche Versorgung eines jeden Patienten mit Blutprodukten zu sichern. Erfasst werden Profildaten (Geburtsmonat, -jahr, Geschlecht, erste beide Ziffern der Postleitzahl), Diagnostische Daten (Diagnose, Anamnese) und Therapeutische Daten (Therapie, Anzahl von Blutungen). Diese Daten werden vom behandelten Arzt eingegeben und in einem komplizierten Verfahren so anonymisiert, das de facto kein Rückschluss auf die betreffende Person gezogen werden kann.
Die zuständige Mitarbeiterin des DHR beim PEI erläuterte ausführlich, dass die gespeicherten Daten vor dem Zugriff unberechtigter Personen geschützt seien und bei Benutzung keine Rückschlüsse auf die betreffenden Personen getroffen werden könnten.
Darüber hinaus hob sie hervor, dass sowohl der Bundesdatenschutzbeauftragte als auch die Datenschutzbeauftragten der Bundesländer der Einrichtung dieses Registers zugestimmt hatten. Sie appellierte an alle Patienten, ihre Zustimmung zur Speicherung der Daten im DHR zu geben.
Aktuelle Probleme stellen die geringe Datenbasis (nicht jeder Behandler gibt die Daten seiner Patienten ein), der hohe Zeitaufwand bei der Dateneingabe und der daraus resultierende über Jahre dauernde Aufbau der Datenbank dar.
Abschließend hob sie nochmals hervor, dass die Einwilligungserklärung der Patienten ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgt und jeder sich ausführlich auf dem Homepage des PEI über das DHR informieren kann.
Welchen Beruf will bzw. kann ich mit einer Blutgerinnungsstörung wie der Hämophilie oder dem von Willebrand Syndrom erlernen? Was kann ich studieren? – Diese Fragen stellen sich nicht nur Jugendliche, wenn es um ihre berufliche Zukunft geht.
Unbegrenzte Freiheit bei der Berufswahl trotz Hämophilie? – dazu sprach nun Frau Dr. Monika Girisch aus der kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis Berlin.
Im Jahr 2011 gab es 344 anerkannte Ausbildungsberufe und mehr als 6000 Berufe, deren Ausbildung nicht staatlich geregelt ist. Bewerber haben bei der Berufswahl eine Vielzahl von Hürden zu überwinden, insbesondere die Informationsflut und die Unkenntnis über die Berufsinhalte. Hinzu kommen nicht selten subjektiven Meinungen von Eltern, Lehrern und Freunden, die die Entscheidung für einen Beruf beeinflussen.
Für hämophile Jugendliche spielen darüber hinaus die Schwere der Krankheit und deren Folgen eine Rolle, wobei die verbesserte Therapie nicht nur ein Leben nahezu ohne Einschränkungen ermöglicht, sondern auch die Möglichkeiten einer Ausbildung erheblich verbessert.
In Zusammenarbeit mit der Firma Pfizer entstand eine Broschüre „Ausbildungsberufe – Hämophilie online“, auch aufzurufen unter www.berufe-haemophilie.de.
Nach einem Ampelsystem sind geeignete (grün), bedingt geeignete (gelb) und nicht geeignete Berufe(rot) in den verschiedenen Berufsgruppen angeordnet, wobei die Zuordnung, wie Frau Dr. Gierisch einräumte, z. T. auch nach subjektiven Einschätzungen erfolgt ist. Im Ergebnis sind sehr viele Berufe für Hämophile durchaus gut geeignet, entscheidend ist die umfassende Information über den Beruf. Praktika zum Kennen lernen des Berufs und seinen spezifischen Anforderungen sind unerlässlich, nicht zuletzt aber auch die Motivation für die Ausübung des Berufs. Denn: ein Beruf soll in allererster Linie Spaß machen und nicht zu einem täglichen Martyrium werden.
Über Möglichkeiten der Verlängerung der Halbwertzeit bei Faktorenkonzentraten informierte Herr OA Dr. Robert Klamroth aus dem Vivantes Klinikum Friedrichshain.
Die Behandlung der Hämophilie ist gegenwärtig gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Sicherheit, Verfügbarkeit und einfache Handhabung der Faktorenkonzentrate sowie die Prophylaxe als Standard.
Wünsche von Patienten gehen heute in Richtung verlängerte Halbwertszeit und verbesserte koagulatorische Aktivität, um weniger injizieren zu müssen, eine verminderte Immunogenität sowie neue Applikationsformen.
Eine entscheidende Frage lautet: Wie schnell wird der Faktor abgebaut? Beim Faktor VIII wird von einem durchschnittlichen Zeitraum von 12 Stunden ausgegangen, wobei ein höherer Willebrand-Faktor den Faktor-VIII-spiegel positiv beeinflusst. Ebenso wird beobachtet, dass der Faktor-VIII-Spiegel im Alter meist erhöht ist.
Versuche, die Halbwertzeitverlängerung beim Faktor VIII –Molekül zu verlängern, blieben bislang nur wenig erfolgreich, beim Faktor IX-Molekül konnte eine fünffache Verlängerung erreicht werden.
Forschungen auf dem Gebiet der Gentherapie brachten bislang nicht den erhofften Erfolg.
Als letzter Tagesordnungspunkt stand jetzt der Bericht über die gemeinsame Sitzung von Vorstand und Vertrauensrat der DHG sowie Vorhaben für 2013 von Klaus Poek auf dem Programm. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit fiel der Bericht kürzer als üblich aus.
Die Anwesenden wurden gebeten, sich an der Unterschriftenaktion auf der DHG-Website für eine Entschädigung HCV-infizierter Hämophiliepatienten zu beteiligen. Obwohl uns aus dem Petitionsausschuss des Bundestages positive Signale erreichten, war die Reaktion des neuen Gesundheitsministers – wie zu erwarten war – ablehnend.
Nachdem es wiederholt zu Unstimmigkeiten über die Höhe der Eigenbeteiligung der Teilnehmer an Veranstaltungen der DHG auftraten, hat der Vorstand nachfolgenden Beschluss gefasst: Der Eigenanteil bei Wochenendveranstaltungen soll künftig pro Teilnehmer 40 % betragen. Für finanzielle Härtefälle kann dieser Beitrag auf Antrag je nach sozialer Situation reduziert werden. Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 16. Lebensjahr können kostenlos teilnehmen.
Der diesjährige WFH-Kongress findet vom 08. Bis 12. Juli in Paris statt. Interessenten können sich mit der Geschäftsstelle in Hamburg in Verbindung setzen. Das Treffen der norddeutschen Vertrauensleute wird vom 23. bis 25. März erstmals in Lübeck stattfinden.
Die diesjährige Dampferfahrt für Mitglieder der Region ist für Sonntag, den 26. August 2012, geplant, die nächste Regionaltagung für Samstag, den 26. Januar 2013.
Das nächste Mehrgenerationentreffen wird nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Kosten und des organisatorischen Aufwandes voraussichtlich nicht vor 2014 stattfinden.
Abschließend bat Klaus Poek die Anwesenden die ausgelegten Evaluationsbögen auszufüllen, dankte allen für ihr Kommen und wünschte ihnen für das Jahr 2012 Gesundheit und alles erdenklich Gute sowie eine gute Heimreise.
Brigitte Poek